Es ist die allererste Erfahrung mit einem anderen Geschlecht, die sehr prägend ist und die den Grundbaustein für die nachfolgenden Beziehungen legt.
Hat das kleine Mädchen genug Nähe und Zuspruch erfahren, wurden ihr Komplimente zu ihrem Äußeren und zu ihren Errungenschaften gemacht, hat sie sich als etwas Besonderes fühlen dürfen, hat sie sich sicher und geliebt fühlen dürfen oder musste sie es sich verdienen, erkämpfen, erarbeiten, anderswo holen- womöglich von anderen Männern.
…Mein Vater wollte immer einen Sohn. Er bekam eine Tochter und 4 Jahre später kamen wir, meine Zwillingsschwester und ich auf die Welt.
Es war ein Schock für ihn.
Als Kind fühlte mich nur selten von ihm wahrgenommen, es sei denn ich hatte (als Wildfang der Familie) mal wieder etwas angestellt.
Nach außen hin war er der perfekte Papa, der mit fremden Kindern spielte, wenn wir Gäste hatten. Der sie auf den Schoß nahm, der sich ihnen mit einem Lächeln zuwendete, während wir daneben standen.
Ich war ab und an der „Show Act des Abends“, weil ich mit meinen 6 Jahren, ohne weiteres mehrere Liegestütze machen konnte.
Es ging mir nicht um die Bewunderung der anderen. Aber das waren die Momente, in denen ich mich gesehen, in denen ich mich beachtet gefühlt habe.
Ich war ein Junge in „weiblich“. Mit Puppen, Mädchenklamotten oder irgendwelchem Glitzer-Krimskrams konnte ich nie etwas anfangen.
Dafür habe ich mich für Autos und Technik interessiert.
Mein Vater war begeisterter „Autobastler“ und ich war immer dabei, wenn er sein Auto reparierte. Reichte ihm die Schlüssel und kleine Ersatzteile und ich genoss unsere gemeinsame Zeit.
Ich hatte nur Jungs als Freunde und war der „Anführer“ unserer kleinen Clique.
Wenn einer dieser Jungs oder jemand aus der Klasse, mir gegenüber in irgendeiner Art und Weise Gefühle zeigte, war ich jedes Mal verwundert, warum man sich mir gegenüber plötzlich anders verhielt…
Ich empfand mich weder hübsch noch liebenswert.
Meine Strategie war damals schon relativ einfach – wenn ich mich so verhalte, wie Jungs das tun, dann kann ich mir die Zuneigung meines Vaters verdienen, dann haben wir gemeinsame Themen, über die wir uns austauschen könnten.
Aber irgendwie hat es nie so richtig gereicht…nicht meinem Vater (er hat es nie in irgendeiner Form geäußert), sondern mir selbst.
Später als Teenager, musste ich mich damit auseinander setzen, dass ich eine Frau bin.
Doch auch hier wieder – die Nase zu kantig, die Lippen nicht voll genug, nicht schlank genug….
Ich fühlte ich mich unvollkommen. Ob als Jahrgangsbeste, oder als die, die studiert hatte und ins Ausland gegangen ist.
Die Messlatte wurde einfach immer etwas höher gelegt. Es war der Anspruch an mich selber, welchem ich nicht genügte.
Meine Zwillingsschwester kann mein Ringen um die Aufmerksamkeit meines Vaters nicht wirklich nachvollziehen.
Sie hatte es schon früh für sich angenommen und akzeptiert, dass er halt wenig präsent war, wie eben die meisten Väter damals. Es war eine komplett andere Zeit.
Letztendlich war es ein mühsamer Weg das Selbstvertrauen aufzubauen und sich selbst anzunehmen.
Der Umgang meines Mannes mit unserer Tochter stimmt mich hingegen sehr positiv. Obwohl sie erst 2 ist, sagt er ihr täglich wie schlau und wie hübsch sie ist. Ihre beiden Brüder stimmen gerne mit ein.
Eines Tages wird sie erhobenen Hauptes einen Meetingraum betreten, wird in einer Verhandlung selbstbewusst ihre Forderungen darlegen, wird ihre Fehler machen und wieder aufstehen, weil sie einen starken Anker hat. Ihr wurde die Zuversicht mitgegeben, dass sie genau richtig ist, wie sie ist.
Mittlerweile, nach vielen Selbstgesprächen, Selbstanalysen und den ein oder anderen Blick in die Vergangenheit, habe ich losgelassen…
Meine Oma wurde von ihrem Mann damals sitzen gelassen, da war mein Vater 3 Jahre alt.
Er fühlte sich ungewollt, ungeliebt, verraten …Was hätte mein Vater uns also geben können?
Ich habe ihm längst vergeben. Dabei weiß mein Vater gar nicht, dass es da etwas zu vergeben gab.
Es ist für mich absolut kein Thema mehr.
Ein mir sehr nahe stehender Mensch hat kürzlich gesagt: „Wenn wir jemandem aktiv vergeben, dann machen wir in erster Linie uns selber frei“.
Ich hätte es nicht besser formulieren können.
Mit den Jahren hat sich unsere Beziehung gewandelt und intensiviert.
Für seine 6 Enkelsöhne und 1 Enkeltochter ist er der beste Opa der Welt und für mich der beste Vater, der eben auch seine Zeit brauchte, um gewisse Sachen zu verstehen. Er ist sehr stolz auf seine Töchter und lässt es uns und die Außenwelt spüren.